Der Frankfurter Maler Mike MacKeldey besetzt seit einigen Jahren mehr
oder
weniger im Verborgenen eine einzigartige Position und ist eine
vertitable
Entdeckung auf dem Kunstmarkt. Der Maler mit dem schottischen Namen
kann als
gutes Beispiel gelten, wie vital sich eine
Künstlerpersönlichkeit entwickeln
kann, auch wenn sie von Kunsthochschulen verschmäht wurde;
denn obgleich Thomas
Bayrle von seinen Arbeiten begeistert war, wurde er an der Frankfurter
Städelschule nicht angenommen und hat sich über viele
Jahre als Autodidakt
fortentwickelt.
Mike MacKeldey ist bekannt als Portraitmaler und hat das Genre mit
seinem neuen
Werkzyklus in neue, überraschende Sphären
geführt. Denn das klar
identifizierbare Abbild von Menschen des öffentlichen Lebens
oder auch von Figuren
auf der Straße ist in seinem Werk nur noch eine Seltenheit.
Zum Ersten wird das
Portrait in den letzten Monaten immer mehr umrahmt, eingekreist, wie
durch ein
Guckloch fokussiert und durch informellen, materialreichen Strich
umgeben oder
mit einem gespachtelten Schutzmantel versehen, verwischt und in eine
zunehmend
abstraktere Richtung verändert. Zum Zweiten erhält
das Portrait in den Arbeiten
des letzten Jahres auf der Oberfläche eine
zusätzliche Dimension. Denn wenn das
Portrait von der Farbe noch feucht ist, platziert der Maler in einer
geritzten
Übermalung einen intuitiv ersonnenen Subtext zum Portrait, der
sich oft
ironisch mit dem eigenen Werk beschäftigt. Diese Reaktion auf
das eigene Werk
kommt aus dem Unterbewussten – der Sinn ergibt sich
häufig erst im Nachhinein,
wie das eben öfter ist bei großer Kunst.
Die Tradition der Kritzeleien reicht von den Höhlenmalern in
Lascaux über
Leonardo bis zu Picasso und Cy Twomby und gipfelt in der Art Brut eines
Jean
Dubuffets oder in den Übermalungen eines Arnulf Rainer.
Handelt es sich da um eine Wechselwirkung zwischen Portrait und
Detailbild im
Portrait? Sehen wir innere Vorgänge des Portraitierten?
Handelt es sich um eine
Karikatur à la Marcel Duchamp, der seinerzeit der Mona Lisa
einen Bart anmalte
und ironisch die Buchstaben L.H.O.O.Q. darunter schrieb, was auf
Französisch
schnell ausgesprochen so viel bedeutet wir Sie hat einen
heißen Arsch.
Der Künstler lässt es offen und will sich da nicht
festlegen lassen, gibt aber
zu, dass der Text, der immer wieder auf der Oberfläche der
Werke auftaucht,
nicht immer rational gesetzt ist, sondern sich zuweilen
verselbständigt. Das
sind Andeutungen zu den Geschichten, die in den Bildern verborgen
liegen, die
der Betrachter aber für sich selbst entdecken muss. Die Bilder
haben in den
gesetzten Fragmenten und Schlüsselszenen solch archaische
Themen wie Liebe und
der negativen Liebe, dem Hass, Geburt und Tod, Eifersucht und
Selbstmord, dass
jeder Betrachter seine eigenen biografischen Hintergründe
hineinprojizieren
kann.
Mit Zitaten wie Fuck the police oder Ich
bin Jude neben einem
Davidstern reißt der Künstler existentielle Themen
an, die polarisieren und den
Betrachter anstoßen. Wir sehen Musiker wie Iggy Popp, Felix
Kubin und die
Sängerin Anja Plaschg von Soap & Skin, einer
Lieblingsband des Künstlers.
Mit Figuren wie Klaus Kinski und Buffalo Bill oder mythischen
Darstellungen
wie einem Portrait vom Sohn des Zeuss zeigt er, dass es ihm nicht
eigentlich um
den Portraitierten geht, sondern um die Geschichten, die dahinter
liegen oder
sich mit der Figur, oder was man mit ihr assoziiert,
verknüpfen lassen. Manche
Portraits stehen durch die Streifenstruktur da wie im starken Regen,
den wir in
diesem Frühsommer nahezu täglich draußen
verfolgen können. Oder es ist wie eine
ferne Erinnerung an einen Menschen, den wir nicht mehr genau vor Augen
haben.
Durch den ovalen Rand erscheinen manche Bilder aber auch wie ein
Spiegel aus
einer anderen Zeit, vielleicht auch ein Spiegel, der
durchlässig ist wie bei Orpheus
und der dann ein Spiegel in eine andere Zeit und
Welt ist wie in der
Verfilmung von Jean Cocteau. Viele der Bilder haben so auch etwas
Geisterhaftes, bewirkt durch den gewissen Film und das Verschwommene,
das der
Künstler in seine Flächen einwebt.
Die Bildoberfläche in diesem neuen Zyklus, der in wenigen
Monaten mit einem
täglich entstandenen Bild verwirklicht wurde, ist sehr
attraktiv und erzählt
viel. Wir sehen häufig diese gekonnte Streifenstruktur, unter
der sich das
Portrait befindet, dicke, gespachtelte Stellen, und die geritzte und
beschriftete oberste Schicht. Aus der Ferne sieht man nur die
Portraitierten,
die zugunsten der Details, die man bei der Annäherung immer
besser erkennt,
zunehmend verschwinden. Das Licht spielt bei der Betrachtung eine
wichtige Rolle,
die geritzte Oberfläche kann bei seitlicher Betrachtung das
einzig Sichtbare
sein. Dank dieser einzigartigen Oberflächen sind die Arbeiten
auch ein
wunderbares Beispiel für die Wechselwirkung von Nähe
und Distanz, was eben
nicht nur eine formale Ebene hat, sondern eines der Kernthemen der
menschlichen
Beziehungen berührt. So vereinen sich in diesem Zyklus von
Mike MacKeldey
Inhalt und Form in besonders sinniger Weise.
Es handelt sich bei allen Bildern um Ölfarbe auf Baumwolle,
ein Schreiner
fertigt nach seinen genauen Vorstellungen die Rahmen, die der
Künstler dann
selbst bespannt und bemalt. In der Farbgebung hat Mike MacKeldey den
neuen
Zyklus in seinem Werk ganz neu angesiedelt. Während
früher dunklere Töne
vorherrschten und viele Bilder in Orange und Braun angelegt wurden,
bestimmen
nun Pastelltöne die Arbeiten und Türkis und Grau
tauchen häufiger auf.
Drei Bilder möchte ich besonders herausgreifen:
Im Bild Der Himmel über Munsalvaesche
fliegen zwei Figuren für sich, die
eine große im Hintergrund und die Kleinere im Vordergrund: In
freiem Fall sinkt
die Portraitierte vor blauem Grund ins Bodenlose, sie leidet, das kann
man
deutlich erkennen, und auf der Oberfläche legt sich der
karikaturenhafte Mann,
ein Alter Ego des Künstlers?, mit Freude darüber. Wie
in manchen anderen
Bildern des Künstlers teilen sie sich das Gesicht, ja sie
haben sogar das
gleiche Auge. Freud und Leid sind hier als die beiden Seiten einer
Medaille ins
Zentrum gerückt.
Ein Selbstportrait zeigt den Künstler mit fünf
verbundenen Speeren, die das
Familienwappen darstellen, mit dem Clanspruch Aonaibh Ri
Sheile, was so
viel wie Verbinde! bedeutet. So stellt er den Bezug
zu seinen
schottischen Wurzeln her, was eine Leistung ist, denn die Familie lebt
seit
etwa sechs Generationen in Deutschland.
Das dritte Bild, Gugelhupff betitelt, vereint
Fragmente aus allen
anderen Bildern, die in den letzten Monaten entstanden sind. Denn hier
wurden
am Rande eines schönen rottlippigen Portraits die Reste und
Pinselspuren der
Bilder nach Vollendung abgestreift. So entstand ein üppiger
floraler Rand um
das Portrait, das alle Farben des Zyklus’ aufnimmt und mit
fallenden Klecksen
die Vitalität und Kraft der Arbeiten unterstreicht.
Über allem findet sich eine grüne Linie, die alles
und nichts sein kann: Eine
Liane? Ein Weg? Eine tanzende Figur? Einmal mehr bleibt die eindeutige
Antwort
aus.
Mike MacKeldey besetzt eine eigensinnige, radikale, vor Reichtum und
Phantasie
zuweilen strotzende Position. Neu ist die selbstbewusste Signatur auf
der
Vorderseite, integriert fast wie ein Markenname auf einem Produkt. So
fällt
auch sein Künstlermotto üppig aus, das in wenigen
Worten anreißen soll, worum
es ihm geht, was in ihm steckt und was ihn ausmacht. Was also ein
anderes Wort
ist für seine Kreativität. Es lautet: In
Saus und Braus. Ausspucken. Taschen
leeren! So bringt er auf den Punkt, dass alles, was er in
seinem Leben
erlebt und durchlitten hat, alles was er sah und auch das, was er
phantasierte,
auf Baumwolle bannen lässt. Er nutzt seine
Möglichkeiten und setzt jeden Moment
in seiner Kunst aufs Ganze. Man kann es spüren.
Während in den vergangenen
Jahren sein Atelier schon über einem Boxclub lag, ist
kürzlich im Tiefgeschoss
noch ein Bestatter hinzugekommen. Der Künstler hat also im
wahrsten Sinne
regelmäßig frische Leichen im Keller, die er
möglicherweise in Kunst
sublimieren wird. Wir können gespannt sein, wie sich sein Werk
nun fortspinnen
wird. Verfolgen Sie diese Position weiter, es lohnt sich. Und fangen
Sie
spätestens jetzt an, Mike MacKeldey zu sammeln.
Florian Koch
Kurator in Frankfurt am Main
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